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    Bad Gandersheim

    Geschichte der Erinnerungskultur

     

    (Text: Anne-Katrin Race)

    Die erste Konfrontation der Gandersheimer Bevölkerung mit den Verbrechen, die während der NS-Diktatur auch in ihrem unmittelbaren Umfeld geschehen waren, stellte im  Juni 1945 die Exhumierung der am 4. April bei der Räumung des KZ-Außenkommandos Brunshausen erschossenen Häftlinge und die anschließende Bestattung auf dem Salzbergfriedhof dar. Die Aktionen wurden auf Veranlassung der britischen Militärregierung durchgeführt, zur Exhumierung wurden vor allem ehemalige NS-Funktionäre herangezogen; die Beerdigung fand unter Anwesenheit der Gandersheimer

    Bürger statt. Zum 1. Jahrestag der Erschießung, Anfang April 1946, fand eine öffentliche Gedenkfeier auf dem Salzbergfriedhof statt, die fotografisch dokumentiert ist.

    Aus den folgenden Jahren sind nur wenige Hinweise bekannt, eine systematische Erinnerungskultur ist in Bad Gandesheim nicht nachweisbar. In der ansonsten sehr umfangreichen heimatgeschichtlichen Literatur findet das "Dritte Reich" praktisch keine Erwähnung. 1953 wurde der jüdische Friedhof in Bad Gandersheim von der Stadt wieder hergerichtet und seither von ihr gepflegt. Auch das Ehrenmal für die Opfer des KZ-Außenkommandos Brunshausen auf dem Salzbergfriedhof wurde 1978 durch die Stadtverwaltung renoviert, die Pflege der Gedenkstätte übernahm in den folgenden Jahren die CDU-Frauenvereinigung Bad Gandersheim. Im Sommer 1979 besuchte eine kleine Gruppe von ehemaligen Brunshausen-Häftlingen aus Frankreich die Stadt und wurde auch offiziell empfangen.

    Erst im Umfeld der Friedensbewegung entwickelte sich seit den 1980er Jahren eine kontinuierliche Erinnerungskultur. Die erste öffentliche Gedenkveranstaltung wurde am 8. Mai 1980 von den Jungsozialisten in der SPD Bad Gandersheim auf dem Salzbergfriedhof durchgeführt. In diesem Zusammenhang entstand auch die Forderung nach aussagekräftigen Hinweisen zum Außenkommando Brunshausen im Stadtbild. Weitere Erinnerungsstätten neben dem Ehrenmal auf dem Salzbergfriedhof wurden jedoch von der konservativen Mehrheit im Stadtrat abgelehnt. Insgesamt stieß die Arbeit der lokalen Friedensinitiativen auf Skepsis und sogar klare Ablehnung bei vielen, insbesondere älteren Gandersheimern, einzelne Aktivisten sahen sich heftigen persönlichen Anfeindungen ausgesetzt.. Die Vorbehalte in der Gandersheimer Bevölkerung eskalierten zum öffentlich ausgetragenen Konflikt, als das Friedensbündnis 1985 die Anbringung einer Erinnerungstafel für die Opfer des Außenkommandos an der Klosterkirche Brunshausen vorbereitete. Erst nach einschneidenden Textänderungen konnte die Tafel in der heutigen Form neben dem Eingang zur Kirche realisiert werden. So behandelte nunmehr die erste Hälfte des Textes die ältere Geschichte des Klosters Brunshausen und im Anschluss an die Informationen zum Außenkommando Brunshausen wurde der Hinweis ausgenommen, dass Gandersheimer Frauen die erschossenen Häftlinge mit den Händen ausgraben mussten. Seit dieser Zeit organisiert das Friedensbündnis Bad Gandersheim, so der heutige Name der Initiative, jedes Jahr am 4. April eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Evakuierung des Lagers Brunshausen und der Erschießung von 40 Häftlingen.

    Nachdem der Aufgabenbereich Stadtgeschichte/Museum Ende der 1980er Jahre hauptamtlich besetzt worden war, spielte auch die Stadtverwaltung eine größere Rolle in der Erinnerungskultur. Die damalige Museumsleiterin Anne-Katrin Race betreute regelmäßig Gruppen bei der "Spurensuche" und unterstütze Projekte Gandersheimer Schulen. Ende der 1980er Jahren konnten im Umfeld der Gandersheimer SPD-Senioren noch Befragungen durch Frau Race durchgeführt werden. Als es 1989 erste Hinweise auf die Existenz einer "Kinderpflegstätte" in Brunshausen gab, beauftragte der Stadtrat die Museumsleiterin mit der Erstellung einer entsprechenden Dokumentation. 1993 wurde auf Initiative von Bürgern aus dem Umfeld des Friedensbündnisses eine Gedenktafel an dem betroffenen Teil der Klosteranlage Brunshausen, dem ehemaligen Sommerschloss oder "Fürstlichen Haus", angebracht.

    Anne-Katrin Race_Die "Kinderpflegestätte" Brunshausen (pdf)

    Mehrere Gandersheimer Bürger beschäftigten sich im Wintersemester 1990/1991 mit großem Engagement im Rahmen eines Kurses der Kreisvolkshochschule Northeim unter der Leitung von Susanne Abel, Seesen, mit der Geschichte der Juden in Gandersheim, die Ergebnisse wurden veröffentlicht. Das Projekt wurde vom Museum der Stadt Bad Gandersheim begleitet und unterstützt.

    In Zusammenarbeit mit der Kreisjugendpflege Northeim zeigte die Stadt Bad Gandersheim in den 1990er Jahren in der ehemaligen Klosterkirche mehrere Wanderausstellung, die  Brunshausens besondere Bedeutung als Ort der Verfolgung in der NS-Zeit Rechnung trugen: "Die Welt der Anne Frank", "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben" (zu den Jugend-Konzentrationslagern Moringen und Uckermark) und "Einen Schmetterling habe ich hier nicht gesehen" (Kinderzeichnungen und Gedichte aus Theresienstadt). Zu allen Ausstellungen wurden zahlreiche Führungen, insbesondere für Schulklassen aus der Region, sowie ein umfangreiches Rahmenprogramm organisiert.

    Im Rahmen der Gandersheimer Domfestspiele 2002 inszenierte Intendant Georg Immelmann unter dem Titel "Der Schmerz" in der Klosterkirche Brunshausen eine viel beachtete Montage aus den Aufzeichnungen des Brunshausen-Überlebenden Robert Antelme und seiner Frau Marguerite Duras. Im Jahr 2002 wurde auf Initiative der PDS und nach einem entsprechenden Ratsbeschluss der Weg zwischen der Klosteranlage Brunshausen und der Erschießungstelle, die seit 1991 durch ein von der Friedensinitiative gesetztes Gedenkkreuz gekennzeichnet ist und durch die Stadt gärtnerisch gepflegt wird, in "Robert-Antelme-Weg" umbenannt.

    In diese Zeit fällt auch der jüngste und umfangreichste Beitrag zur Erinnerungskultur in Bad Gandersheim, ein international angelegtes "Gedenkbuch Kommando Brunshausen"-Projekt einer französischen Gruppe um das Ehepaar der "zweiten Generation" Gigi und Pierre Texier. In Zusammenarbeit mit dem Museum der Stadt Bad Gandersheim fanden u.a. mehrere Treffen vor Ort statt, an der auch Zeitzeugen aus Frankreich und den USA teilnahmen. Die Stadtverwaltung, Gandersheimer Schulen und Betriebe, die Friedensinitiative und viele weitere Bürger der Stadt wirkten an der Gestaltung des Besuchsprogramms mit. Eine Delegation nahm auch an der Aufführung "Der Schmerz" und an der Einweihung des "Robert-Antelme-Wegs" teil. Nach Vorliegen der französischen Dokumentation 2003 konnte zwei Jahre später die deutsche Fassung: Paul Le Goupil, Gigi Texier, Pierre Texier, Bad Gandersheim - Autopsie eines Außenkommandos von Buchenwald, erscheinen. Übersetzung und Redaktion wurden von Gandersheimer Bürgern ehrenamtlich übernommen, der Druck durch die Stadt Bad Gandersheim. Vorgestellt wurde die deutsche Ausgabe auf der Gedenkveranstaltung "60 Jahre Kriegsende" im Jahr 2005.

    Durch Anregung durch DIE LINKE wurde durch die Stadt das Mahnmal auf dem Salzberg-Friedhof im Jahre 2006 wieder in einen würdigen Zustand versetzt.

    Derzeit beschränkt sich die Erinnerungskultur in Bad Gandersheim auf die jährliche Gedenkveranstaltung am 4. April. Veränderungen in der Aufgaben- und Personalstruktur der Stadt Bad Gandersheim und die drängende Nachwuchsfrage im ehrenamtlichen Bereich erfordern ein Nachdenken um die Zukunft der Erinnerungsarbeit.

     

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