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Delligsen

NS-Zwangsarbeit

Im Laufe des Zweiten Weltkrieges verdoppelte sich die Einwohnerzahl Delligsens aufgrund zahlreicher Kriegsgefangener und ausländischer Zivilarbeiter. Sie wurden hauptsächlich in der Rüstungsindustrie, im Forst, der Landwirtschaft und den umliegenden Steinbrüchen eingesetzt. An dieser Stelle können nur die größeren Lager und ‚Arbeitgeber’ genannt werden.

Industrie und Handwerk

Der Raum Delligsen entwickelte sich ab 1939 zu einem bedeutenden Rüstungszentrum. Für drei dieser Betriebe ist der Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter nachgewiesen. So beschäftigte die Deutsche Spiegelglas AG (DESAG) in Grünenplan insgesamt 120-140 polnische Arbeiter, die ab 1942 in einem betriebseigenen Lager „Am Heerbrink“ untergebracht waren; zuvor hatten sie in der Gaststätte „Deutsches Haus“ gelebt. Im Lager „Heerbrink“ lebten darüber hinaus einige Niederländer, Belgier und – vermutlich auf ursprünglich mehr oder weniger freiwilliger Basis – Wallonen. Von letzteren wurde einer aufgrund eines Fluchtversuchs derart misshandelt, dass er starb. Polnische Familien (50-60 Personen) waren zudem vorübergehend in der ehemaligen Jugendherberge und in der Kegelbahn des Kurhauses untergebracht. Ein französisches Kriegsgefangenenlager der DESAG lag darüber hinaus nahe des heutigen Schwimmbads im Lager "Am Rehbeutel"; die 72 Insassen wurden später in den Zivilarbeiterstatus überführt. Nach Kriegsende dienten die Baracken des Lagers „Am Heerbrink“ zunächst als Flüchtlingsunterkunft und wurden später abgerissen.

Das Dräger-Werk in der Dr. Heinrich Jasper Straße in Delligsen stellte u.a. Sauerstoffmasken und Atemgeräte her. Hier wurden über die Zeit 25 russische und 21 französische Arbeiter beschäftigt. Die benachbarte August Engels GmbH war bereits einen Monat vor Kriegsbeginn Wehrmachtsbetrieb geworden und produzierte u.a. Werfergranaten. Die Belegschaft bestand überwiegend aus ausländischen Arbeitern, allein Anfang 1945 waren dies insgesamt 469 zivile ZwangsarbeiterInnen sowie bis zu 259 russische Kriegsgefangene und 167 italienische Militärinternierte. Vier entsprechende Unterkünfte befanden sich auf dem gemeinsamen Firmengelände der Fa. Engels und dem Dräger-Werk: Im Obergeschoss eines Gebäudes bestand ein sowjetisches Kriegsgefangenenlager, dessen genaue Belegzahlen unbekannt sind. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Betriebe befand sich ab 1940 ein Gemeinschaftslager mit insgesamt bis zu 250 hauptsächlich osteuropäischen Frauen (einige von ihnen waren anfangs noch freiwillig hergekommen), 20-30 Franzosen, 30-50 PolInnen u.a.m. Auch Kinder befanden sich darunter. Ein polnischer Säugling starb 1943, weitere Todesfälle sind bekannt. Ein drittes Lager wurde allein von der Engels GmbH getragen, es lag etwas weiter südlich „Am Campe“ und ‚beherbergte’ ab 1944 mehr als 120 italienische Militärinternierte. Hinter den Drägerwerken lag außerdem ein viertes, kleineres Lager, Näheres ist hierzu jedoch nicht bekannt. Die in der Hierarchie unten rangierenden polnischen und sowjetischen ZivilarbeiterInnen sowie die Kriegsgefangenen hatten es am schwersten und mussten teils 13 Stunden am Tag arbeiten. Je nach Einsatzstellen kamen teils Misshandlungen vor, besonders in der Gießerei der Engels GmbH. „Unter den russischen Kriegsgefangenen gab es oft Todesfälle. Sie geschahen wegen Nichtigkeiten,“ (1) erinnert sich eine ehemalige Zwangsarbeiterin; aber auch daran, dass Einheimische ihr halfen, Essen mitbrachten und sie unter dem offiziellen Vorwand, sie als Arbeitskraft ‚auszuleihen’, zu sich nach Hause einluden. Die Ernährung in den Lagern war allgemein unzureichend, so dass mehrere versuchten, diese durch zusätzliche Feld- oder Hausarbeiten aufzubessern.

Auch in anderen Industriezweigen wurden Zwangsarbeiter eingesetzt, darunter einige Polen und 1942 zwei Franzosen in der Papierfabrik Henseling in Delligsen. Vermutlich waren auch die in einem Wohnhaus in der Kaierder Straße untergebrachten Russen in dieser Fabrik beschäftigt.

Im Kalkwerk der Braunschweig-Hannoverschen Kalkindustrie GmbH in Delligsen, Maschstraße 208, arbeiteten zu Kriegsbeginn italienische Saisonarbeiter, ab 1940 zudem rund zehn Belgier. Zwangsweise befanden sich dort in jedem Fall die 1941 hinzugekommenen 18 Ukrainer sowie ab 1942 sechs Franzosen und 20 Russen, auch polnische Arbeiter waren hier beschäftigt. Ein entsprechendes Lager befand sich direkt auf dem Gelände, weitere Arbeiter kamen in Gebäuden in der Röhnbergstraße 114 und in der Maschstraße 307 unter, wo vor dem Krieg bereits ausländische Saisonarbeiter gelebt hatten.

In der 1943 von Hannover nach Hohenbüchen auf das Gelände der Ziegelei Menge verlagerten Kofferfabrik Grebenstein mussten rund 40 PolInnen Zwangsarbeit leisten, darunter auch Kinder. Sie wurden direkt auf dem Gelände untergebracht, wo sich auch die Sanitätsräume für die Ausländer im Ort befanden; die Gebäude wurden 1968 abgerissen. In einem weiteren Lager im Ort lebten rund 90 Russen. Sie errichteten und betrieben im Rahmen des Verlagerungsprojekts „Ofen“ eine Raffinerie im Glenetal, gegenüber dem Steinbruch bei Brunkensen (heute direkt hinter der Kreisgrenze). Nebenbei versuchten sie, durch andere Arbeiten im Ort oder im Austausch mit selbst hergestelltem Holzspielzeug zusätzlich an etwas zu Essen zu kommen.

Landwirtschaft und Forst

Die lokale Land- und Forstwirtschaft waren weitere wichtige Einsatzgebiete ausländischer Arbeiter. Ein entsprechendes größeres Lager mit rund 20 Serben befand sich ab 1942 in der Gastwirtschaft Körber in Delligsen, Hilsstraße. Auch die Domäne Düstertal beschäftigte im Zweiten Weltkrieg ausländische Arbeiter: Polen sowie neun Franzosen. In einem teilweise leerstehenden Bauernhaus in Kaierde waren acht bis zehn polnische Männer untergebracht. Sie wurden zu Arbeiten in der lokalen Landwirtschaft eingesetzt. Darüber hinaus lebten Polinnen direkt beim jeweiligen ‚Arbeitgeber’. Auch in Hohenbüchen kamen einige polnische und russische Zwangsarbeiter direkt auf den Höfen unter.

Gegenüber dem Friedhof in Grünenplan wurde 1940 ein Kriegsgefangenenlager errichtet, dessen Überreste heute noch sichtbar sind. Hier lebten ca. 61 Franzosen und zwei bis drei Polen, die im umliegenden Forst arbeiteten. Das Besondere hierbei ist, dass es sich ausschließlich um jüdische Gefangene handelte. Diese wurden 1943 in den Zivilarbeiterstatus überführt, verblieben aber weiterhin im selben Lager. Ein zweites Lager im Ort bestand in der bereits genannten Gastwirtschaft „Deutsches Haus“. Die dort lebenden Polen arbeiteten zu Beginn des Krieges ebenfalls im Forst, später für die Deutsche Spiegelglas AG. Zeitweilig im Forst beschäftigt waren zudem russische Frauen aus dem DESAG-Lager „Heerbrink".

Darüber hinaus wurden die acht bis zehn jungen Russen aus einem 1942 in einer leeren Stellmacherei in Kaierde eingerichteten Lager „Marktstiege“ im Forst eingesetzt, aber auch in der Landwirtschaft, der Pappenfabrik und einem Langholzabfuhrunternehmen.

Zumindest im Jahr 1940 lebten in Delligsen weitere ausländische Arbeiter in der Hilsstraße 154 und 384 (43 bzw. 20 Polen) sowie in der Bahnhofstraße 209 (acht Italiener). Im selben Jahr waren in der o.g. Gastwirtschaft Körber auch sieben Niederländer untergebracht.

Rund 10-15 sowjetische Gefangene sind in Delligsen gestorben, zumindest einer von ihnen wurde bei einem Fluchtversuch erschossen. Die meisten waren in der Gießerei der August Engels GmbH beschäftigt. Aus Angst, zurück in das Kriegsgefangenen-Stammlager Fallingbostel zu kommen, sollen französische Gefangene zudem Selbstmord verübt haben. Es kam aber auch vor, dass sich trotz der strikten Verbote zwischen ausländischen Arbeitern und Einheimischen heimliche Freundschaften entwickelten, die – zum Glück für die Beteiligten – unentdeckt blieben.

(1)   Maria Kostjunina: Mein Schicksal als russische Zwangsarbeiterin bei den Aug. Engels-Werken in Delligsen, in: Creydt, Detlev / Meyer, August: Zwangsarbeit, Bd. 2, Braunschweig 1994, S. 189-198, hier S. 192.

 

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