Textversion     Kontakt     Sitemap     Suche

Topografieder Erinnerung

Südniedersachsen

  Südniedersachsen

 

  Orte A-C

  Orte D-G

    Dassel

    Delligsen

    Dransfeld

    Duderstadt

    Einbeck

    Eschersh.-Stadtold.

        Eschershausen

        Stadtoldendorf      «

    Friedland

    Gieboldehausen

    Gleichen

    Göttingen

  Orte H-M

  Orte N-Z

 

  Glossar

 

Startseite     Orte A-Z     Erinnern in der Region     Aktuelles     Medien / Links     Netzwerk

Samtgemeinde Stadtoldendorf

Politischer Widerstand und Verfolgung

Gleich zu Beginn der NS-Regierungszeit, im Februar 1933, wurden Kommunisten und Sozialdemokraten von lokalen SA- und SS-Männern schwer misshandelt. Zynischerweise waren sie zu diesem Zweck in ihrem eigenen Vereinslokal „Schwarzer Bär“ in Stadtoldendorf zusammengetrieben worden. Ebenso kam es im Frühjahr mehrfach zu Hausdurchsuchungen politischer Gegner.

Jüdisches Leben und Verfolgung

Ein jüdischer Friedhof in Stadtoldendorf wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts „Über den Rennebäumen“ angelegt, ein Betsaal befand sich um dieselbe Zeit in einem Haus an der Ecke Försterbergstieg / Hagentor. Im Jahr 1853 konnte die Gemeinde ein neuerrichtetes Synagogengebäude in der Kuhstraße einweihen. Eine lokale jüdische Elementarschule bestand während der 1880/90er Jahre.

Die jüdischen Einwohner Stadtoldendorfs waren angesehene Menschen und gut in die Gesellschaft und das lokale Vereinsleben integriert; so kamen auch Stadtverordnete bzw. Ratsmitglieder aus ihren Reihen. Max Levy durfte sich seit 1912 „Geheimer Kommerzienrat“ nennen, 1918 wurde er zum Ehrenbürger ernannt. Auch stiftete er die Ausstattung des Stadtverordneten-Sitzungssaals und das Krankenhaus Charlottenstift. Der Kellberg-Turm wurde von Oskar Wolff gestiftet. Zum bedeutensten und größten Arbeitgeber in der gesamten Region hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Leinenhandlung der jüdischen Familie Rothschild in Stadtoldendorf entwickelt, die auch im Ausland einen Absatzmarkt fand.

Die jüdische Familie Rothschild aus Merxhausen hatte sich zunächst der Synagogengemeinde in Mackensen (Dassel) angeschlossen, wandte sich jedoch später nach Stadtoldendorf. Zur jüdischen Gemeinde Stadtoldendorf – spätestens ab 1914 die größte im Landkreis – gehörten außerdem die Orte Arholzen, Wangelnstedt und Golmbach (Bevern). Auch in diesen Orten wurden kleinere jüdische Friedhöfe angelegt; in Wangelnstedt gab es einst zwei jüdische Friedhöfe.

Für das Jahr 1933 sind 56 jüdische Bürger in der Kernstadt Stadtoldendorf verzeichnet. Sie alle wurden Opfer der bald einsetzenden Repressalien und Verfolgung. Vor allem nach der ab Sommer 1935 einsetzenden Radikalisierung und sich häufender gewalttätiger Übergriffe zogen viele der jüdischen Bewohner in größere Städte um oder emigrierten ins Ausland. Ihre Geschäfte mussten sie meist unter Wert verkaufen. Im sogenannten Novemberpogrom 1938 wurde das Schuhgeschäfte Lichtenstein geplündert und nichtjüdische Personen, von denen bekannt war, dass sie dort noch eingekauft hatten, zum Verhör in die NS-Volkswohlfahrt, Pfarrstraße 10, vorgeladen. Dreizehn jüdische Männer wurden am 10. November in „Schutzhaft“ genommen und zusammen mit anderen aus dem Landkreis in das Gerichtsgefängnis Holzminden gebracht. Rabbi Salomon Braun wurde aufgrund seiner 83 Jahre wieder freigelassen, die übrigen Männer im KZ Buchenwald interniert. Als letzter wurde Kurt Wallhausen am 19. Januar 1939 von dort wieder entlassen. Die Synagoge wurde während des „Pogroms“ geplündert und ausgebrannt, das schwer beschädigte Gebäude im Jahr darauf zum Abbruch an Maurermeister Gröne verkauft. Das Grundstück selbst erwarb die Stadt. Auch der Friedhof in der Deenser Straße wurde während des Zeit NS-Regimes geschändet. Einer der Friedhöfe in Wangelnstedt sollte laut einer Akte des Landkreises von 1939 eingeebnet, der andere mit Schutt bedeckt werden.

Wallhausen

Kurt Wallhausen (Foto: Hedwig Wallhausen, Datierung unbekannt. Privatbesitz: Ute Siegeler)

Zynischerweise wurde die Satzung der vom jüdischen Ehepaar Schoenbeck in Stadtoldendorf gegründeten Stiftung zur Literatur-Beschaffung für die Mittelschule 1936 dahingehend abgeändert, dass auch rein religiöse respektive weltanschauliche – und damit nationalsozialistische – Bücher angeschafft werden konnten; die Stiftung selbst wurde 1938 in „1.500 RM-Bücherstiftung“ umbenannt. Ihr Gründer Dr. Joseph Schoenbeck war im August 1937 wegen angeblich illegaler Geldgeschäfte in seiner Funktion als Gesellschafter der jüdischen Weberei Rothschild verhaftet und später zu vier Jahren Haft im Zuchthaus Hameln verurteilt worden. Schoenbecks Mitangeklagte, Eduard Kuenstler, Dr. Richard Wolff und Wilhelm Matzdorf bekamen jeweils rund 1.5 Jahre Zuchthaus; sie wurden 1939 in das KZ Sachsenhausen überführt und verstarben dort im Jahr 1940 bzw. 1942. Schoenbeck hingegen wurde 1941 unter der Auflage aus der Haft entlassen, anschließend zu emigrieren. Die Firma A.J. Rothschild Söhne war noch vor der Urteilsverkündung 1938 zwangsverkauft worden.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden 31 Juden aus Stadtoldendorf bzw. nach ihrem Umzug ab 1933 aus anderen deutschen Städten deportiert. Nachweislich kamen 27 von ihnen ums Leben. So auch die vierköpfige Familie Rothenberg aus Arholzen, die 1939 nach Amelunxen verzogen war. 33 weiteren Juden aus Stadtoldendorf, einschließlich „jüdisch Versippten“, „Mischlingen 1. Grades“ sowie nach 1933 kurzzeitig in Stadtoldendorf Gemelden, war rechtzeitig die Flucht ins sichere Ausland gelungen.

Mit der ersten von zwei südniedersachsenweiten Deportationen begann im März 1942 eine Odyssee 13 jüdischer Bürger Stadtoldendorfs über das Sammellager Ahlem (Hannover) in das Warschauer Ghetto und zum Teil weiter in die östlichen Vernichtungslager. Sie waren am 25. März zum Transport an der Sammelstelle bei der Gastwirtschaft Hesse in der Oberen Straße 43, Holzminden verbracht worden; offiziell hatten sie zum Arbeitseinsatz nach Trawniki überführt werden sollen. Unter ihnen befanden sich das Ehepaar Stein, Paul Heinberg, Kurt Wallhausen sowie die Familie seiner Schwester Grete Johanna Löwenstein. Zwischen Januar 1939 und Februar 1940 hatte Kurt Wallhausen aufgrund der Ausweitung des Berufsverbots für Juden zwangsweise im Steinbruch Droste arbeiten müssen, drei weitere Männer ab Mai 1940 bei der Rappbodetalsperre im Ostharz.

Löwenstein

Grete Johanna Löwenstein, geb. Wallhausen, und ihre Kinder Margot, Ernst und Helmut Löwenstein
(Foto: Hedwig Wallhausen, Datierung unbekannt. Privatbesitz: Ute Siegeler)

In der Nacht vor ihrer Deportation im Juli 1942 – der zweiten südniedersachsenweiten – versuchte Emma Stridde, sich das Leben zu nehmen; die Schutzpolizei fand sie bewusstlos vor, überführte sie aber dennoch am selben Tag zusammen mit Julie Ullmann über Hildesheim nach Hannover. Ullmann kam später in Auschwitz ums Leben, während Emma Stridde – als Witwe eines „Nichtjuden“ – erst im Januar 1944 von Ahlem weiter nach Theresienstadt deportiert wurde. Im Februar 1945 wurde auch die in einer „Mischehe“ lebende Elisabet Abels, Tochter von Julie Ullmann, von Stadtoldendorf über Hildesheim nach Theresienstadt deportiert.

Als einzige der ehemaligen jüdischen Gemeinde Stadtoldendorfs kehrte Elisabeth Zelms nach Kriegsende nach Stadtoldendorf zurück. Elisabet Abels verstarb noch im selben Sommer in der Göttinger Universitätsklinik an den Folgen der Lagerhaft.

NS-„Euthanasie“

Nachweislich wurden zwei aus Stadtoldendorf stammende Bürgerinnen im Nationalsozialismus Opfer der „Euthanasie“. Die jüdischstämmige Erna Rosenhain wurde im Jahr 1940 in der Gaskammer der Anstalt Brandenburg ermordet. Sie hatte sich seit Herbst 1937 in der Anstalt der Inneren Mission in Neuerkerode befunden, von wo aus sie Ende September 1940 in die Tötungsanstalt Brandenburg verlegt worden war.

Die jüdische Bürgerin Alice Matzdorf, geb. Frank, wurde im Februar 1941 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Hadamar ermordet. Sie war die Frau des bereits genannten Wilhelm Matzdorf und hatte sich zur Behandlung ihrer Depressionen in einer Bonner psychiatrischen Privatklinik befunden.

Sinti und Roma

Zwei in Lenne geborene „Zigeuner“, Regina Kümmel und Franz Schmidt, starben im März 1943 bzw. 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Regina Kümmel wurde keine zehn Jahre alt. Auch Gisela Kümmel verlor in Auschwitz ihr Leben, sie war 1932 (vermutlich) in Linnenkamp geboren worden.

... und zahlreiche weitere Beispiele

Der in Stadtoldendorf lebende Louis Lindemeyer wurde am 23.06.1944 vom Kammergericht Berlin wegen „wehrkraftzersetzender Äußerungen gegenüber Hausgenossen“ zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Ende April 1945 wurde er durch die Alliierten aus dem Landgerichtsgefängnis in Potsdam befreit, starb aber im Juli des Jahres an den Folgen der Haft in Magdeburg.

 

Zurück

 

   Druckversion 

 

 
 

  Nach oben     Impressum