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Northeim

Jüdisches Leben und Verfolgung

Nachweislich ab Mitte des 18. Jahrhunderts lebten in Imbshausen jüdische Personen, 100 Jahre später stellten sie kurzzeitig bis zu 9% der Ortsbevölkerung. Ein Friedhof befand sich In der Furth / Judenkuhle. Spätestens 1812 gab es eine Synagoge bzw. einen Betsaal, 1840 wurde ein Synagogengebäude im Ortszentrum erworben, in dessen Erdgeschoss sich zunächst eine Religions-, seit 1848 eine jüdische Elementarschule befand. Das Gebäude wurde Ende des 19. Jahrhunderts verkauft und als Betsaal seither ein angemieteter Raum genutzt. Im Jahr 1902 löste sich die Gemeinde schließlich auf, die wenigen Verbliebenen schlossen sich der jüdischen Gemeinde Northeim an.

In Hillerse lebten ab Beginn des 18. Jahrhunderts jüdische Familien. Für den Ort Sudheim können jüdische Einwohner für die Zeit von Ende des 17. Jahrhunderts bis 1932 nachgewiesen werden. Sie waren gut in die Gesellschaft integriert, Benno Rosin war von 1919-1924 sogar sozialdemokratischer Bürgervorsteher. Vermutlich um 1830 wurde an der Ecke Lange Str. / Wörthstraße ein jüdischer Friedhof angelegt. Eine erste Synagoge im Ort war um 1779 errichtet worden, die nachfolgende Synagoge stand in der Langen Str. 10. Dem 1843 gegründeten Synagogenverband Hillerse-Sudheim–Northeim schloss sich 1849 auch Lindau (Katlenburg-Lindau) an. 1876 wurde der Sitz der Gemeinde aufgrund der Abwanderung vieler Mitglieder von Sudheim nach Northeim verlegt, das Sudheimer Synagogemgebäude daraufhin verkauft.

Baruch-Frank

Hochzeitstag des Ehepaars Julie und Simon Frank in Hilversum, NL, am 6. November 1941. Bis 1930 hatten die Familie in Northeim gelebt. Von links: Helmut, Julie, Ruth, Anna und Simon Nathan Frank. Eltern und Sohn wurden 1943 nach Sobibor deportiert und dort vermutlich ermordet. Tochter Anna erlebte die Befreiung in einem KZ, Ruth hatte in Verstecken überlebt. (Privatbesitz, Foto: Baruch-Frank)

Spätestens seit Beginn des 15. Jahrhunderts lebten in der Stadt Northeim Juden, aufgrund eines Niederlassungsverbots jedoch mit der Unterbrechung 1639-1808. Ein eigenes Synagogengebäude konnte trotz mehrfacher Bemühungen nicht errichtet werden. Stattdessen wurden in Privathäusern Beträume eingerichtet: Ende des 19. Jahrhunderts in der Breiten Straße 47, 1904 im Schaupenstiel 11, ca. 1910-1935 am Bürgermeisterwall 2 (heute: Untere Straße 27) und zuletzt in der Bahnhofstraße 5. Ein jüdischer Friedhof wurde 1884 direkt neben dem städtischen angelegt. Neben den bereits genannten Ortschaften schlossen sich der Gemeinde um 1925 auch die jüdischen Einwohner Nörten-Hardenbergs an.

Im Sommer 1933 hatte Northeim 107 jüdische bzw. als jüdisch geltende Einwohner. Seit dem Frühjahr waren sie Repressionen und öffentlichen Demütigungen ausgesetzt. Ihre Geschäfte litten aufgrund der reichsweiten Boykottmaßnahmen im April des Jahres. Ab 1935 verschärfte sich die Situation; im Februar wurden Fensterscheiben einiger jüdischer Geschäfte eingeworfen. Im Juni nahmen an einer jüdischen Beerdigung auch nicht-jüdische Freunde teil, ihre Fotos wurden daraufhin öffentlich ausgehängt. Im August wurden antisemitische Schilder an den Stadteingängen postiert, im Jahr zuvor hing im Ort bereits ein anderes mit entsprechenden Karikaturen aus: „Deutscher Volksgenosse meide dieses Rasse!“. Vor diesem Hintergrund und zunehmend ausgeübtem Druck wanderten v.a. ab 1935 viele jüdische Bewohner aus, ihre Geschäfte mussten sie meist unter Wert verkaufen.

Im sogenannten Novemberpogrom 1938 wurden Privatwohnungen verwüstet und die Einrichtung des Betraums verbrannt. Wegen angeblicher Unterschlagung wurde der Northeimer Sozialdemokrat Levy im selben Jahr in das KZ Dachau deportiert. Vermutlich spielte dabei eine Rolle, dass er zusammen mit dem damaligen DDP-Mitglied Georg Diederichs im Juni 1922, kurz nach der Ermordung von Außenminister Rathenau, heftig gegen die Aufführung der Kleistschen „Hermannsschlacht“ und damit auch gegen die (rechts-)konservativen Veranstalter protestiert hatte. Im April 1939, unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem KZ, konnte Levy mit seiner Familie als letzte Northeimer Juden noch ins Ausland emigrieren. Der jüdische Friedhof in Northeim wurde 1940 geschändet und musste ebenso wie jener in Imbshausen 1944 an die Stadt verkauft werden; er wurde eingeebnet und fortan als Abräumhalde genutzt. Die einzige in Imbshausen lebende jüdische Person verstarb 1939.

Stern

Nettchen Stern (links) wurde 1941 in Riga ermordet. Laura Guttentag führte das Sternsche Geschäft bis zur Arisierung weiter. Durch einen Handel Himmlers wurde sie im Februar 1945 aus Theresienstadt in die Freiheit verkauft. (Privatbesitz, Foto: Rosen)

Aus Verzweiflung verübten Ende 1941 zwei Northeimer Juden Selbstmord. Ein befreundeter Northeimer hatte Paula Frankenberg für ihr Tafelsilber Geld gegeben, um sie finanziell zu unterstützen; dies war verraten und der Helfer von der Gestapo verhaftet worden. Während seiner einige Tage dauernden Inhaftierung ertränkte sich Frankenberg aus Gewissensbissen in der Ruhme. Ihr Neffe Otto erhängte sich wenig später in einer Gefängniszelle, der Haftgrund ist nicht bekannt; als offizieller Todesort wurde seine Dachkammer angegeben. Die vier zuletzt noch in der Stadt lebende Juden wurden nach Theresienstadt deportiert – drei in dem zweiten südniedersachsenweiten Transport im Juli 1942 (sie starben im KZ), Felix Haas noch im Februar 1945; er lebte in einer sogenannten „Mischehe“ und musste bis dahin zudem vermutlich in einem kriegswichtigen Betrieb Zwangsarbeit verrichten - vermutlich Gründe, deretwegen er lange Zeit von einer Deportation ausgenommen war. Was mit zwei ebenfalls noch 1942 in „Mischehen“ lebenden jüdischen Frauen geschah, ist nicht bekannt. Nachweislich wurden 33 jüdische Einwohner Northeims während der NS-Zeit ermordet. Mindestens 32 der zu Beginn des NS in der Stadt lebenden Juden konnten bis 1939 ins sichere Ausland emigrieren; rund 50 weitere zogen in größere deutsche Städte, ihr weiterer Weg ist unbekannt.

Als einzige kehrten nach Kriegsende Felix Haas und Leopold Ballin zurück nach Northeim. Vorübergehend gab es 1946-1953 wieder eine jüdische Gemeinde in der Stadt, die sich v.a. aus Displaced Persons zusammensetzte und gegen lokale Widerstände zu kämpfen hatte.

Zwangssterilisation

Aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das bereits 1933 in Kraft trat, konnten Menschen, die nicht in das rassisch geprägte Weltbild des Nationalsozialismus passten – zwangssterilisiert werden. So geschehen auch im August 1937 mit einem 18-jährigen Northeimer Bürger wegen „angeborenen Schwachsinns“. Der Kreisarzt für Northeim stellte allein 108 Anträge zur Zwangssterilisation von Frauen an der Universitätsfrauenklinik in Göttingen.

NS-„Euthanasie“

Nachweislich wurden drei aus Northeim stammende Bürger im Nationalsozialismus Opfer der „Euthanasie“ im Rahmen der sogenannten T4-Aktion. Die betreffenden Personen waren bereits zuvor langfristig in Anstalten untergebracht gewesen.

Wilhelmine Lockemann kam 1927 in die Pflegeanstalt Göttingen und wurde im Juni 1941 in der Anstalt in Hadamar ermordet. Auch Klara Ellhoff kam in die Göttinger Pflegeanstalt, sie wurde am selben Tag wie Frau Lockmann in Hadamar ermordet. Beide waren über die Zwischenstation Weilmünster hierhergekommen. Der Arzt Konrad Hannig wuchs in Northeim auf und studierte in Göttingen; nach einigen Jahren im Beruf wurde er ebenfalls in die Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen. Er kam 1941 über die Zwischenstation Großschweidnitz nach Sonnenstein-Pirna und wurde dort ermordet. Alle drei sind in Northeim bestattet. Über die Art ihres Todes wurden die Angehörigen nicht unterrichtet, ihre Familien schalteten jedoch Todesanzeigen in der Northeimer Zeitung.

„Bücherverbrennung“

Symbolische Politik spielte im Nationalsozialismus eine große Rolle, um das eigene Weltbild und die Herrschaft zu sichern. Nicht nur Menschen wurden zu jener Zeit in Feind und Freund unterteilt, sondern beispielsweise auch Bücher. Im Jahr 1933 fanden eine Reihe, zunächst spontaner, dann organisierter Bücherverbrennungen statt. Am bedeutendsten waren wohl jene, in der die reichsweite Aktion „Wider den undeutschen Geist“ am 10. Mai gipfelte und an der sich - wie in Göttingen und Hann. Münden - vor allem Studenten beteiligten. In Northeim, wo es keine Hochschule gab, fand eine Bücherverbrennung auf dem Marktplatz zwei Wochen später und vor einem anderen Hintergrund statt – und zwar unter Leitung des NSDAP-Ortsgruppenleiters zum 10. Todestag des nationalsozialistischen „Märtyrers“ Albert Leo Schlageter. Die Veranstaltung ist in der damaligen Presse ausführlich dokumentiert worden.

 

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